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Am Vorabend zeigt der Wetterbericht, dass es auf meiner geplanten Route immer schlechter wird. Und damit meine ich nicht einfach nur Regen, auf den ich ja eingestellt war, sondern Sturmwarnungen, Erdbeben und Kälte. Da fällt es mir natürlich schwer, Vorfreude auf die anstehenden Etappen zu entwickeln. Da es im gleichen Maße, wie es hier im Norden schlechter wird, im Süden des Landes immer besser zu werden verspricht, sogar mit Sonnenschein und blauem Himmel, also Fotowetter, entscheide ich schweren Herzens, meine Route zu ändern. Auf der einen Seite wollte ich auf jeden Fall den noch nicht besuchten Norden unbedingt sehen, versprechen doch die Sehenswürdigkeiten dort generell spektakuläre Aufnahmen, auf der anderen Seite geht Sicherheit immer vor und aufgrund den schon gemachten Erfahrungen auf unserer ersten Islandreise weiß ich ja, dass man auf Wetterwarnungen hier besser hört. Im Nachhinein wird sich die Entscheidung als goldrichtig herausstellen. Reisende, die anders entschieden haben, haben es bereut und ich habe die folgenden Tage wirklich sehr genießen können. Außerdem bietet Island dem Reisenden, wie eingangs beschrieben, so viele Möglichkeiten Unbekanntes zu entdecken und bekanntes aus anderer Perspektive zu betrachten, wie wohl kaum ein anderes Land. Nicht von ungefähr reisen so viele Menschen viele Male hierher.
Mein ursprünglicher Plan für heute morgen war, die Halbinsel Vatnsnes zu umrunden. In unermüdlichem Optimismus mache ich das auch trotz des Wetters. 2 Grad Außentemperatur, eisiger Wind und Dauerregen nicht zu knapp, führen dazu, dass ich nicht einmal aus dem Auto aussteige. Trotzdem kann man erkennen, wie wunderschön es hier ist, da muss ich unbedingt nochmal hin - eines Tages.
Mein erster Stopp des Tages sind somit die Hraunfossar. Eigentlich wollte ich hier schon am Anreisetag hin, aber da ich ja ohne Umweg ins Hotel musste, ist das ausgefallen. Hier wird das Wetter schon besser, auch wenn es noch ein wenig regnet. Die Wasserfälle Hraunfossar fallen das Lavafeld von Hallmundarhraun herunter und münden in den Hvítá-Fluss in Borgarfjörður. Das blaue Wasser kommt direkt aus dem Langjökull Gletscher, dem zweitgrößten Gletscher Islands. Es gibt einen Aussichtspunkt direkt am Parkplatz, der eine fantastische Aussicht über den Wasserfall, den Fluss und die umliegenden Birken gibt. Die Fußgängerbrücke über den Fluss wurde ursprünglich 1891 gebaut und exakt ein Jahrhundert später renoviert. Seit 1987 sind die Wasserfälle als Nationaldenkmal geschützt. Hraun steht für die Lava und fossar bedeutet Wasserfälle, also bedeutet der Name ‚Lavawasserfälle‘.




Irgendwie ist der heutige Tag ein wenig ein Verschwendeter. Die geänderte Routenplanung kostet mich eine Menge mehr an Fahrerei, der Trip um die Halbinsel Vatnsnes ohne Aussteigen und ohne Fotografieren war frustrierend und zu einem Abstecher zum Brúarfoss kann ich mich nicht entschließen. Der Brúarfoss gilt vielen Island Reisenden als der schönste Wasserfall der Insel. Ich habe ihn ja auch 2018 bei unserer ersten Reise erwandert und kann das bestätigen. Aber der Wasserfall ist eben nicht so einfach zu erreichen. Die Zufahrt über das Ferienhausgebiet ist in der Zwischenzeit endgültig gesperrt, was man durchaus verstehen kann, und der Weg vom offiziellen Parkplatz zum Wasserfall ist zwar nicht übermäßig weit - ca. 7 Kilometer hin und zurück - aber meines Erachtens schlecht zu laufen, insbesondere nach den vielen Regenfällen der letzten Tage. Dazu habe ich irgendwie keine Lust.
Also konzentriere ich mich für heute auf den Gullfoss. Hier habe ich meine Unterkunft für heute Nacht gebucht (3 Fahrminuten entfernt) und das nutze ich auch aus.
Der Gullfoss ist von "World of Waterfalls" als einer der Top 10 Wasserfälle der Welt gelistet. Der mächtige Hvítá (weißer Fluss) ist ein Gletscherfluss, der direkt aus dem Langjökull (langer Gletscher) Richtung Süden fließt und dem Gullfoss seine hohe Durchflussrate verleiht. Im Sommer, wenn es besonders viel Schmelzwasser vom Langjökull gibt, steigt sie bis auf 140 Kubikmeter pro Sekunde. Die höchste Durchflussrate, die je gemessen wurde, waren außergewöhnliche 2.000 Kubikmeter pro Sekunde. Der Wasserfall hat eine Fallhöhe von 32 Metern über zwei Stufen hinweg und fließt anschließend durch einen 70 Meter hohen, zerklüfteten Canyon. Etwa einen Kilometer vom Gullfoss entfernt fließt der Fluss stark nach rechts durch einen weiten, dramatischen Canyon, bevor das Wasser dann stark in eine schmale Schlucht gepresst wird. Der Gullfoss fällt über die erste Stufe etwa 11 Meter tief und die zweite Stufe ist 21 Meter tief. Dieser Wasserfall hat einen ganz besonderen Platz in den Herzen der meisten Isländer. Nicht überraschend hat das Potenzial, die Kräfte des Wasserfalls für Hydroelektrizität zu nutzen, zwischen denen, die diese Kraft ausnutzen wollen und denen, die die Natur schützen wollen, eine Spaltung hervorgerufen. Der bekannte Poet und Anwalt Einar Benediktsson unterstütze die Ausbeutung und die lokale Bauerntochter Sigríður Tómasdóttir kämpfte für die Erhaltung des Wasserfalls. Manche behaupten, Sie hätte sogar damit gedroht sich in die Fluten zu stürzen! Sigríður Tómasdóttir hat den Kampf letztlich gewonnen und am Wasserfall gibt es ein Monument in Gedenken an Sigríður.
So ein Spot ist natürlich auch ein touristischer Magnet. Dennoch kann ich auch hier wieder erleben, dass Corona alles verändert. Wo sonst der extra angelegte Parkplatz für Reisebusse aus allen Nähten platzt, stehen heute nur ein paar wenige Autos von meist einheimischen Besuchern. Als wir vor 2 Jahren im April hier waren konnte man nicht an die untere Stelle laufen, da der Weg wegen Glatteis gesperrt war. Heute, im Sommer, ist das jedoch möglich und bietet ganz neue, aufregende Perspektiven. Ich spiele also in aller Ruhe etwas mit Belichtungszeiten und Filtern herum und genieße den Aufenthalt. Einzig an das andauernde Wischen über die Linse bzw. die Filter muss ich mich noch gewöhnen, der Sprühnebel des Wasserfalls ist gewaltig.



Spoiler-Alarm: mein erstes Video mit der Kamera